S. Schmid: Deutsche und italienische Besatzung im Unabhängigen Staat Kroatien

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Titel
Deutsche und italienische Besatzung im Unabhängigen Staat Kroatien. 1941 bis 1943/45


Autor(en)
Schmid, Sanela
Erschienen
Berlin 2019: De Gruyter Oldenbourg
Anzahl Seiten
437 S.
Preis
€ 79,95
von
Karlo Ruzicic-Kessler, Freie Universität Bozen

Die Berner Dissertation von Sanela Schmid leistet etwas, was bisher noch nicht gelungen ist: die Untersuchung zweier Besatzungsregime während des Zweiten Weltkriegs sowie der Vergleich zweier Strategien im heissumkämpften und blutigen Kriegsschauplatz des Unabhängigen Staates Kroatien (NDH). Dabei geht die Autorin systematisch vor und untersucht sowohl die Politik Italiens und Deutschlands in Kroatien als auch das Verhältnis der Achsenpartner zueinander.

Nach einer kurzen Einleitung in das Thema werden die Strategien Italiens und Deutschlands im südosteuropäischen Raum vor dem Zweiten Weltkrieg betrachtet. Bereits hier wird klar, dass ein Konflikt zwischen Berlin und Rom vorprogrammiert war. Die Ausrufung des NDH durch die Ustascha-Bewegung von Ante Pavelić brachte eine weitere entscheidende Komponente in das Szenario. Der NDH wurde zum Akteur und zum Spielball im komplexen Beziehungsgeflecht, das sich ab April 1941 im kroatischen Raum etablierte. Italien und Deutschland teilten Kroatien in zwei Einfluss- und Besatzungszonen auf. Besonders interessant erscheint, wie die unterschiedlichen Strategien der beiden Achsenpartner verzahnt waren. Die deutsche Regierung setzte bis zum Schluss auf die Ustascha, während die ökonomische Ausbeutung Kroatiens an erster Stelle stand. Daraus resultierte ein vergleichsweise geringer militärischer Einsatz. Italien annektierte hingegen einen grossen Teil kroatisch-bewohnter Gebiete und zählte diesen Raum zu seinem «spazio vitale». Somit setzte Rom auf eine Besatzungspolitik, die eines erheblichen militärischen Aufwands bedurfte. Dabei agierten die Achsenpartner völlig konträr: Deutschland brauchte ein starkes Kroatien, Italien wollte die Ustascha hingegen möglichst schwach halten. Schmid gelingt es, diese komplexen Beziehungen und Vorstellungen genau darzustellen und sie zeigt auf, welche Mechanismen politischer, ökonomischer und strategischer Natur hinter den Beziehungen in Kroatien steckten und das Misstrauen zwischen den Partnern der «Achse» befeuerten.

Auf die ersten Wellen der Massengewalt der Ustascha reagierten die beiden Besatzer ebenfalls unterschiedlich. Während sich das deutsche Militär weitestgehend zurückhielt, versuchten die Italiener, die Zivilbevölkerung vor Übergriffen der Ustascha zu schützen. Sehr gut arbeitet Schmid dabei heraus, wie unterschiedlich die Vorstellungen über die Zivilbevölkerung in den beiden Besatzungsgebieten waren. Die deutschen Besatzer interessierten sich kaum für die Bevölkerung und machten zunächst keine Anstalten, dem Morden der Ustascha Einhalt zu gebieten. Für Italien galt es, eine imperiale Ordnung herzustellen und die Bevölkerung dieser zu unterwerfen. Daher legte die italienische Besatzungsmacht Wert auf Versorgung, Infrastrukturausbau und die Zusicherung der Unversehrtheit aller Bevölkerungsschichten. Gerade solche Vergleiche und Verknüpfungen stellen eine besondere Stärke dieses Werkes dar. Die Autorin präsentiert ein klares Bild, das wie nie zuvor die Strategien, Massnahmen und Wechselwirkungen in Kroatien während des Zweiten Weltkriegs illustriert und von der grossen Politik bis zu den Handlungen Einzelner in Kroatien reicht. In diesem Zusammenhang lässt sich auch ein weiteres, kontroverses Thema des Zweiten Weltkrieg in Kroatien analysieren: die Verfolgung und Rettung von Jüdinnen und Juden. Hier gelingt der Autorin ein «integrativer» Ansatz, der sowohl die kroatische und deutsche Rassenpolitik in Betracht nimmt, um dann auf die italienischen Vorstellungen einzugehen, die schliesslich zur Rettung tausender Menschenleben führten.

Der Umgang mit den unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen in Kroatien stellt ohnehin eine der spannendsten Analyseebenen dieses Werks dar. Während die deutschen Besatzer an den Ustascha festhielten, verfolgte das italienische Militär eine pragmatischere Politik und setzte auf ein Bündnis mit den aufständischen Serben (Tschetniks), das sich dezidiert gegen Titos Partisanen richtete und den kroatischen Staat bedrohte. Damit etablierte die italienische Armee eine «divide et impera»-Politik, die sich bis zum italienischen Kriegsaustritt im September 1943 manifestierte und teilweise zu beachtlichen Erfolgen führte. Erst nach dem italienischen Ausscheiden aus dem Krieg ging auch die Wehrmacht Abmachungen mit den Tschetniks ein. Die Strategien gegenüber der muslimischen Bevölkerung und die Diskrepanz zwischen Anspruch und Realität bilden eine weitere, spannende Facette der Ausführungen Schmids.

Interessant ist schliesslich auch die von Schmid präsentierte Auswertung der Massnahmen italienischer und deutscher Einheiten im Kampf gegen die Partisanen. Beide Seiten gingen ähnlich brutal gegen diese «unsichtbaren» Gegner vor und schürten eine Spirale der Gewalt, die den jugoslawischen Raum während des Zweiten Weltkriegs kennzeichnete. Die Unterscheidung zwischen Kombattanten und Zivilisten gelang den Besatzungseinheiten nur teilweise. Vielmehr verwüsteten sie ganze Landstriche, was als Zeichen der Ohnmacht im Guerillakrieg gedeutet werden kann. Weiterführend erweist sich eine detaillierte Analyse der Opfer deutschen und italienischen Handelns. Hier liefert die Autorin eine Erklärung für unterschiedliche politische Ziele und militärische Bedingungen. Dies zeigt sich auch im von Schmid zum ersten Mal gründlich untersuchten Thema der deutschen und italienischen Propaganda. Obwohl sich deren tatsächliche Wirkung letztlich nur schwer fassen lässt, zeigt die Analyse, welchen Stellenwert die Propaganda einnahm. Sie trägt damit auch zum Verständnis der Demoralisierung der Soldaten und der Brutalisierung des Krieges im NDH bei.

Insgesamt ist festzustellen, dass Sanela Schmid eine detaillierte, mit einer beachtlichen Zahl an Dokumenten (unter anderem aus Deutschland, Italien, Kroatien, Serbien, USA) unterfütterte Arbeit gelungen ist, die es zum ersten Mal vermag, die Beziehungen der Besatzungsmächte Italien und Deutschland in Kroatien gründlich zu durchleuchten. Damit stellt dieses Werk einen grossen Mehrwert für die Forschung zum Zweiten Weltkrieg dar.

Zitierweise:
Ruzicic-Kessler, Karlo: Rezension zu: Schmid, Sanela: Deutsche und italienische Besatzung im Unabhängigen Staat Kroatien. 1941 bis 1943/45, Berlin 2020. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte 72 (1), 2022, S. 176-177. Online: <https://doi.org/10.24894/2296-6013.00102>.

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